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Interview: Was jetzt vor Ort benötigt wird

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Im Interview berichtet Patrice Masra, Mitarbeiter im Sahel-Büro der Diakonie Katastrophenhilfe, über den dringenden Bedarf im Osten des Tschad aufgrund der Sudan-Krise: „Die Geflüchteten, die im Tschad ankommen, haben alles verloren. Sie brauchen dringend Unterkünfte, Wasser und eine Grundversorgung, während sich langfristige Lösungen auf die Schaffung von Einkommen und Umsiedlungsmöglichkeiten konzentrieren.“

 

Seit dem Ausbruch der Krise im Sudan sind schätzungsweise 910.000 Menschen in den Tschad gekommen, davon über 222.000 tschadische Rückkehrer. Was sind ihre dringendsten Bedürfnisse? Wo werden diese Menschen untergebracht, und welche Aufnahmekapazitäten gibt es?

Patrice Masra: Durch die ständigen Kämpfe und die Bombardierung der Hauptstadt von Nord-Darfur, El Fasher, kommen immer mehr Geflüchtete an den Grenzübergängen zum Tschad an. Das Nachbarland nimmt weiterhin Flüchtlinge auf, die von dem Konflikt im Sudan betroffen sind. Wenn sie die Ostgrenze nahe der Stadt Adré überquert haben, werden sie zunächst registriert und in den neuen Camps von Dougui in Ouaddaï und Touloum untergebracht. Im September wurden 218.336 Personen im provisorischen Flüchtlingscamp in Adré registriert, die noch auf ihre Umsiedlung warten. Durch Überschwemmungen haben sich die Bedürfnisse, die bei Weitem nicht gedeckt waren, noch weiter erhöht. Den Menschen fehlt es an Notunterkünften, angemessenem Zugang zu Trinkwasser, oder sicheren Sanitäranlagen wie Duschen oder Latrinen, um die Privatsphäre von Mädchen und Frauen zu gewährleisten. Auch die Abfallentsorgung stellt ein Problem dar.

Sie haben die massiven Überschwemmungen der letzten Wochen erwähnt, die auch in unserem Projektgebiet im Tschad folgenreich waren. Wie stark ist die Region davon betroffen?

Das Projektgebiet, insbesondere die Camps Arkoun und Allatcha in der Prowinz Ouaddai, ist durch temporäre Flüsse (Ouaddis) isoliert, die aufgrund intensiver Regenfälle entstehen. Diese Flüsse blockieren den Zugang zwischen den verschiedenen Regionen und verschärfen die Situation. Die Händler beziehen ihre Waren aus Abéché, und bei einer Entfernung von 200 km dauert es manchmal mehr als eine Woche, um die Camps und Standorte zu erreichen. Der Bau von Latrinen wird beeinträchtigt, da die Materialpreise erheblich gestiegen sind.

Mehr als 60 % der Provinz Sila, in der unser vom Auswärtigen Amt unterstütztes Projekt durchgeführt wird, ist von Überschwemmungen betroffen. Ein großer Teil des Gebietes ist von jeglicher Versorgung abgeschnitten. Die Europäische Union (ECHO) hat daher ein Flugzeug mit einer Kapazität von 2,5 Tonnen mobilisiert, um Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter zu transportieren. Berichte über die Überschwemmungssituation haben auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Schutzmaßnahmen in den Katastrophengebieten stärker im Blick zu haben und diese in von Hochwasser gefährdeten Gebieten zu verstärken.

Wie ist die Ernährungssituation in der Region?

Laut dem Bericht des Famine Early Warning Systems Network (FEWS NET) ist der Zugang zu Nahrungsmitteln ein wesentliches Problem, da die Versorgungswege zu den lokalen Märkten durch die Überschwemmungen und die temporären Flüsse (Ouaddis) blockiert sind. In der Provinz Sila sind die Fahrzeuge des Welternährungsprogramms, die für den Transport von Nahrungsmitteln zu den verschiedenen Standorten und Camps eingesetzt werden, seit über einem Monat blockiert.

Aufgrund des enormen Bedarfs unterstützt die Diakonie Katastrophenhilfe die Menschen im Bereich der Ernährungssicherheit. Das vom Auswärtigen Amt finanzierte Projekt zielt darauf ab, mehr als 12.600 Menschen im östlichen Teil des Tschad zu helfen und konzentriert sich neben der Ernährungssicherung auch auf den Schutz der Bevölkerung. Zu den Maßnahmen gehören die Untersuchung und Behandlung von unterernährten Kindern sowie die Verteilung von Bargeldhilfen.

Herr Masra, Sie haben persönlich mit Geflüchteten in der Provinz Ouaddaï gesprochen. Was haben sie Ihnen erzählt, und was haben sie erlebt?

Meine letzte Dienstreise in den Osten des Tschad war im Juli 2024. In meinen Gesprächen mit den neu angekommenen Geflüchteten wurde deutlich, dass viele von ihnen alles verloren haben: Familienmitglieder und ihr Hab und Gut.

 Sie warten darauf, dass die humanitäre Gemeinschaft ihnen vollen Schutz gewährt, damit sie sich erholen können:

•    Kurzfristig brauchen sie Unterkünfte, die sie vor schlechtem Wetter schützen, sowie Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und lebenswichtiger Grundversorgung (Wasser, Lebensmittel, Gesundheit, Haushaltsenergie usw.)
•    mittelfristig wollen sie einkommensschaffende Maßnahmen ergreifen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und
•    Langfristig hoffen sie auf eine Rückkehr in ihr Land oder, falls dies nicht möglich ist, auf eine Umsiedlung in andere Länder oder eine Integration in den Tschad.

 

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