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„Unsere Partner arbeiten wirklich Tag und Nacht“

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Mehr als 50.000 Menschen haben durch die verheerenden Erdbeben ihr Leben verloren, zahlreiche weitere ihre Lebensgrundlage. Auch einen Monat später gibt es Betroffene, die noch keine Hilfe erreicht hat. Bilge Menekse, Programm-Koordinatorin für die Türkei, hat unseren Partner vor Ort begleitet und mit den teils stark traumatisierten Menschen gesprochen. Im Interview schildert Sie uns ihre Eindrücke.

Bilge Menekse übergibt Hygieneboxen an Betroffene des Erdbebens.

Frau Menekse,Sie waren vergangene Woche in verschiedenen Regionen des Erdbebengebietes auf der türkischen Seite. Wie geht es den Menschen?

Ich habe mit zahlreichen Menschen reden können. Zwar haben viele mittlerweile Hilfe bekommen, doch es gibt es auch Tausende Menschen, bei denen die humanitären Bedarfe weiterhin hoch sind. Viele wollen nicht in die Camps einziehen, weil ihre Häuser beschädigt sind und noch stehen. Selbst wenn sie wegen Einsturzgefahr nicht darin wohnen können, bleiben sie – meist in einer selbst gebauten Notunterkunft - in der unmittelbaren Nähe. Sie bleiben, weil sie sonst Plünderungen und den Verlust ihrer letzten Habseligkeiten befürchten. Gerade diese Menschen brauchen Hygieneartikel, Nahrungsmittel und Decken. Was ich auch realisiert habe: Bei vielen Menschen weicht erst jetzt der anfängliche Schock und sie realisieren das Ausmaß ihres Verlusts. Sie sind stark traumatisiert. 

Der Partner Support to Life (STL) leistet seit dem ersten Tag Nothilfe. Wie geht es den Mitarbeitenden? Wie leben sie vor Ort?

Die Mitarbeitenden unseres Partners arbeiten wirklich Tag und Nacht, damit die Hilfe vor Ort auch ankommt. 8-Stunden-Schichten gibt es in dieser Phase nicht. STL hat Teams aus anderen Regionen in der Erdbebenregion zusammengezogen, um die Arbeit zu verstärken. Da existiert viel Unterstützung und Solidarität untereinander. Sie alle sind natürlich auch den Nachbeben ausgesetzt, was sie auf Dauer nervös macht. In Hatay, wo ich eines der schweren Nachbeben miterlebt hatte, gab es von Beginn an große Herausforderungen, weil die Mitarbeitenden zunächst in Zelten ausruhten und schliefen. Mittlerweile sind dort erste Container angekommen. Diese sind in zwei Räume und einen Toilettenbereich unterteilt. STL war wichtig, dass die Kolleg:innen endlich aus den Zelten rauskommen und ein festes Dach über dem Kopf haben. Anders lässt dich die Arbeit auch auf lange Sicht kaum durchhalten. Die alltäglichen Mahlzeiten bestehen vor allem aus Dosennahrung. Am Vortag werden auch Kekse und Wasser gekauft, welche die Teams dann mitnehmen, wenn sie unterwegs sind.

Sie haben selber eines der Nachbeben am Flughafen in Hatay erlebt. Wie gingen die Menschen vor Ort damit um?

Die Menschen waren besonders traumatisiert. Sie haben geweint und darunter gelitten. Es gab dort Evakuierungsflüge mit Menschen, die weg wollten. Dann erlebten sie nochmal so ein starkes Beben. In solch einer verzweifelten Situation kann man selbst kaum helfen.

STL hat vor Ort Decken, Hygiene-Kits und andere Hilfsgüter verteilt. Wie läuft die Hilfe vor Ort?

Die zerstörte Infrastruktur war für alle Organisationen eine enorme Herausforderung. Ganze Straßenzüge waren zerstört und Zugänge blockiert. Zudem erschwerte das Wetter die Lage. Kurz nach den Beben lag noch Schnee auf den Straßen. Aus logistischer Sicht wird es erst jetzt einfacher, Hilfsgüter in die Region zu bringen. Allerdings ist die Nachfrage weiterhin so hoch, dass die Besorgung auf den lokalen Märkten sehr schwierig ist. Deshalb wird viel aus dem Westen des Landes und den Großstädten angeliefert, um den Bedarf zu decken.

Der türkische Katastrophenschutz AFAD hat sich mittlerweile besser aufgestellt. Sie waren selbst anfangs durch beschädigte und eingestürzte Lagerhäuser vom Beben betroffen. Inzwischen haben auch sie Verstärkung aus anderen Landesteilen bekommen und wir gehen alle koordiniert vor. Das heißt, wir vermeiden Dopplungen und fragen etwa bei AFAD nach, welche Hilfsgüter in den Camps benötigt werden.

Außerhalb dieser offiziellen Zeltsiedlungen gibt es in der Regel einen Community-Vorstehenden, die oder der für die Gemeinde spricht. Solche Kontakte sind wichtig für das Vertrauen, genauso wie die direkten Gespräche mit den Betroffenen selber. Frauen werden separat durch Kolleginnen von STL befragt, um die spezifischen Bedarfe von Frauen aufzunehmen.

Was wird in den kommenden Wochen und Monaten am dringendsten benötigt?

Inzwischen gibt es in einigen Regionen offizielle Zeltcamps, in denen jedoch noch Versorgungslücken existieren, die wir schließen helfen. Ein Beispiel: Es gibt zwar große Trinkwassertanks, aber keine Kanister zum Abzapfen für die Familien. Also haben wir diese Kanister verteilt. In einigen Camps mangelt es auch an adäquaten und ausreichenden Sanitäranlagen. Es fehlt an Latrinen und Duschanlagen. Das wollen wir ausbauen, um so den Ausbruch von Krankheiten zu vermeiden. Auch alltägliche Dinge wie Teller oder Besteck fehlen.

Außerhalb gibt es aber noch immer Menschen, die keine Hilfe erhalten haben. Vor allem in ländlichen Regionen. Dort sind Zelte weiterhin nötig. Mit den steigenden Temperaturen im Frühjahr und Sommer wird es zukünftig auch in Zelten sehr heiß. Da müssen wir uns vorbereiten. Inzwischen werden an einigen Stellen bereits Container aufgestellt, aber das wird dauern. Währenddessen werden die Menschen weiter Hygieneartikel brauchen, also Verbrauchsprodukte, die kontinuierlich ersetzt werden müssen. Das gleiche gilt für Nahrungsmittel. In den offiziellen und auch nicht-offiziellen Camps ist psychosoziale Unterstützung dringend nötig. Da wollen wir uns mit STL einbringen.

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