Tausende Menschen kamen bei den verheerenden Erdbeben im Februar 2023 ums Leben, hunderttausende wurden schwer verletzt. Zu den Betroffenen zählen auch Rami Khatib und seine Familie. „Es gab in diesem Moment keine Rettungskräfte. Ich brauchte zwei Stunden, um meine Frau unverletzt aus den Trümmern zu befreien“, berichtet Rami. Danach folgte noch seine Enkeltochter. 17 Menschen wurden an dem Morgen gerettet. Zwei Nichten überlebten jedoch nicht. Hier erzählt die Familie ihre Geschichte.
Hinter Rami Khatib und seine Familie liegt eine traumatische Zeit. Vor zehn Jahren kam die syrische Familie nach Khirikhan in der Provinz Hatay, um dem Konflikt in der Heimat zu entfliehen. Er arbeitete als Händler, sein 22-jähriger Sohn arbeitete in der Baumwollproduktion.
Am 6. Februar änderte sich alles. Bei dem Erdbeben stürzte ein Nachbargebäude zusammen und begrub ihr Haus unter sich. Rami erzählt, dass er es hinausschaffte, seine Frau, die Schwägerin und ihre Tochter jedoch nicht. „Onkel, rette mich!“, hörte er ständig und Rami begann, an diesem regnerischen und kalten Morgen mit dem Licht seines Handys seine Familie zu befreien. „Es gab in diesem Moment keine Rettungskräfte. Ich brauchte zwei Stunden, um meine Frau unverletzt aus den Trümmern zu befreien“, so Rami. Danach folgte noch seine Enkeltochter. 17 Menschen wurden an dem Morgen gerettet. Zwei Nichten überlebten jedoch nicht.
Sein Sohn und die befreite elfjährige Enkeltochter wurden verletzt und brauchten dringend ärztliche Behandlung. Mit einem Krankenwagen gelangten sie in die Stadt Adana, wo die Verletzungen behandelt werden konnten. Dann die Frage: Wohin gehen und ein Dach über dem Kopf erhalten? In der Stadt Sanliurfa hatten sie Verwandte und fragten dort nach Hilfe. Die Angehörigen organisierten eine Unterkunft in einem armen Viertel der Stadt, wo sie heute mit wenigen Dingen leben. „Es fehlt uns an nichts. Wir haben überlebt, das ist entscheidend. In diesem Haus haben wir alles, was wir brauchen“, sagt Rami. Was jedoch wichtig sei, ist die medizinische Behandlung des Sohnes und der kleinen Enkelin.
Noch heute ist der Arm des Sohnes bandagiert, die Enkeltochter liegt im Nachbarzimmer im Bett und wird für viele Monate nicht laufen können, wenn sie keine tägliche Physiotherapie erhält. Als ihre Mutter darüber berichtet beginnen sie und ihre Schwester leise zu weinen. „Wir haben bis heute nicht wirklich realisiert, was geschehen ist“, sagt Rami und zeigt auf das Handyfoto mit der 15-jährigen Nichte und einem Baby, dass gestorben war. Alle im Haus haben Angehörige verloren, alle sind verletzt. Physisch wie seelisch.
Die Angehörigen empfahlen ihnen, sich bei Support to Life zu melden, der Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe. Die Organisation unterstützt seit vielen Jahren syrische Geflüchtete. Seitdem begleitet Sozialarbeiter Olcay Camuz von STL die Familie und unterstützt, wo er kann. Insbesondere darin, den Schmerz durch den Verlust zu überwinden und zu erreichen, dass die Familie hierbleiben kann. Da sie in der Provinz Hatay registriert ist, darf die Familie offiziell nur 60 Tage hier sein, danach muss sie nach aktuellem Stand zurückkehren. Eine Sondergenehmigung hob nach den Erdbeben die Pflicht der Geflüchteten auf, in den Provinzen bleiben zu müssen, in denen sie registriert sind. Was zunächst für 90 Tage angesetzt war, wurde anschließend auf 60 Tage reduziert. „Doch dort in Hatay ist nichts, alles liegt in Trümmern“, erzählt Rami, für den eine Rückkehr keine Option ist. Ein syrischer Arzt hilft ihnen bei der Behandlung der Enkelin. Um aber eine Physiotherapie machen zu können, braucht die Familie Geld, das sie nicht hat, und die Gewissheit, hierbleiben zu dürfen. In bisher keiner anderen Familie wird der Schmerz, die Betroffenheit und Trauer, aber auch die Ausweglosigkeit so deutlich wie bei der Familie von Rami Khalib.