„Es stehen viele Leben auf dem Spiel, deren Rettung auch von uns abhängt“, schildert Mahmoud Dadah, Vorsitzender der palästinensischen Hilfsorganisation PAEEP, eine langjährige Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe. Dadah leitet derzeit aus Rafah das Notfall-Komitee der Organisation, das mit dem Beginn des Krieges in Gaza im Oktober 2023 aktiviert wurde. Im Interview berichtet er von den Bedingungen vort Ort und welche Rolle lokale Hilfsorganisationen spielen.
Neben zahlreichen Einrichtungen im Gazastreifen wurde auch der Sitz unserer Organisation bombardiert. Wir retteten daraufhin Computer, Laptops, Drucker, Festplatten und wichtige Dokumente der Mitarbeiter aus den Räumlichkeiten. Jeder Mitarbeiter erhielt sein eigenes Gerät, um dezentral weiterarbeiten zu können. Leider wurde der Hauptsitz unserer Organisation in Gaza-City nach wenigen Tagen vollständig zerstört. Die Eskalation des Konflikts in Gaza hat dazu geführt, dass viele unserer Mitarbeitenden heute vertrieben sind und ihre Wohnhäuser bombardiert wurden. Dabei haben einige ihre Laptops verloren, weshalb ein beträchtlicher Teil von ihnen die Arbeit nicht fortsetzen konnte. Wir haben einen Notfallplan ausgearbeitet, der nun regelmäßig überarbeitet und an die Lage angepasst wird. Dank der Anpassungsfähigkeit unseres Teams und dem funktionierenden Krisenmanagement können wir auch mit weniger Personal weiterarbeiten.
Alle Mitglieder unseres Teams im Gazastreifen sind von diesem Krieg betroffen, haben Vertreibung und den Verlust ihrer Häuser, ihres Besitzes und ihrer Lieben erlebt. Ich musste selbst mehrfach den Ort wechseln. Trotzdem hatte ich die Hoffnung nie aufgegeben, in mein Haus zurückzukehren, das, wie ich kürzlich erfahren habe, durch Luftangriffe völlig zerstört wurde. Diese Nachricht hat mir das Herz gebrochen, denn dieses Haus hat mir sehr viel bedeutet. Ich habe viele Jahre damit verbracht, es liebevoll und sorgfältig bis ins kleinste Detail zu gestalten. Aber hier in Gaza haben wir keine Zeit zum Trauern. Es stehen viele Leben auf dem Spiel, deren Rettung auch von uns abhängt, und das ist es, was mich und mein Team motiviert, unsere Arbeit fortzusetzen: Das Leben anderer zu retten! Wir sitzen alle im selben Boot, und diese gemeinsame Erfahrung treibt jeden von uns an, das Leid der Menschen hier zu lindern. Wir werden auch weiterhin mit Druckern und Laptops von einem Ort zum anderen ziehen und mit den uns verfügbaren Ressourcen arbeiten. Wir bleiben nicht stehen.
Zu Beginn der Krise stützten wir uns auf die verfügbaren Bestände in den Lagern der Händler und kauften auf den lokalen Märkten ein. Irgendwann kam es zu Engpässen bei der Bereitstellung bestimmter Hilfsgüter. Derzeit dürfen neben Transporten von Hilfsorganisationen täglich rund 40 Lastwagen von kommerziellen Händlern einreisen. Wir sind auf diese Einfuhren angewiesen, um unsere Hilfspakete zusammenzustellen. An eigenen Einfuhren sind wir bisher gescheitert. Wir haben monatelang alle möglichen Wege ausprobiert, um Lebensmittel, medizinische Hilfsgüter, Decken und andere Artikel aus dem Ausland nach Gaza zu bringen, entweder über den Grenzübergang Rafah mit Ägypten oder über Jordanien. Aber das war bisher leider erfolglos.
Ja, natürlich! Wir sind seit vielen Jahren im Agrarsektor tätig, was uns bei der Bildung von Agrarausschüssen geholfen hat. Diese Komitees haben uns in den vergangenen Monaten den Zugang zu kleinen Landwirtschaftsbetrieben erleichtert, die uns mit frischen Produkten und anderen Lebensmitteln beliefern, die wir in unsere Hilfeleistungen einbeziehen, sofern es sie noch gibt.
Um ehrlich zu sein, kann die Sicherheit in Gaza nicht garantiert werden. Trotzdem halten wir uns an eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen. Wir vermeiden die Arbeit in akut gefährdeten Gebieten oder bei Nacht, wenn Einschläge häufiger vorkommen. Große Menschenansammlungen bei den Verteilungen vermeiden wir ebenso und arbeiten dabei eng mit Freiwilligen, Gemeindevorstehern und lokalen Organisationen zusammen. Sie kennen die Bedingungen, die Bevölkerung und das Sicherheitsniveau in den jeweiligen Gebieten.
Während internationale Organisationen Ressourcen und Fachwissen von außen einbringen, kennen lokale Akteure wie wir den Kontext, die Kultur, die Dynamik und die Bedürfnisse der Gemeinschaft besser. PAEEP hat solide Beziehungen und Netzwerke mit der lokalen Bevölkerung aufgebaut, was wichtiges Vertrauen schafft. Seit Beginn des Krieges sind viele Gebäude von internationalen Hilfsorganisationen bombardiert worden. Teams sind dann wegen der Gefahr ausgereist, was zu Lücken in den Aktivitäten geführt hat, insbesondere in den nördlichen Gebieten des Gazastreifens. Auch wenn wir zwischenzeitlich wegen der Kämpfe unsere Aktivitäten einstellen mussten, konnte unser Team die Arbeit dort aufrechterhalten, während wir gleichzeitig unsere Aktivitäten in den südlichen Regionen von Gaza fortsetzten. Wir sind dankbar für die schnelle Reaktion und Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen außerhalb des Gazastreifens. Sie ermöglichten uns, von den ersten Tagen des Krieges an schnell zu reagieren und unsere Bemühungen bis heute fortzusetzen. Die Diakonie Katastrophenhilfe steht dabei ganz oben auf der Liste.
Nahrungsmitteln, sauberes Wasser und medizinische Versorgung stehen ganz oben. Außerdem sind dringend Wasch- und Sanitäreinrichtungen sowie eine ordnungsgemäße Abfallentsorgung erforderlich, um die Ausbreitung von Krankheiten einzudämmen.
Wir sind stolz darauf, dass PAEEP zu den ersten gehörte, die insbesondere schwangere und stillende Frauen helfen konnte. Wir verteilten Babynahrung, Kleidung und Hygieneartikel, um das anhaltende Leid zu lindern. Wir bemühen uns nicht nur um dringende und unmittelbare Hilfe, sondern unterstützen auch kleine Unternehmen oder schaffen Beschäftigungsmöglichkeiten für Betroffene. Im Vergleich zum Ausmaß der Not ist das alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber wir sind zufrieden mit dem, was wir anbieten können, egal wie einfach es auch sein mag.
Als Palästinenser in Gaza habe ich noch nie Frieden erlebt. Die Vorstellung einer friedlichen Zukunft für Gaza ist eine sehr hoffnungsvolle und wichtige Frage. In einer friedlichen Zukunft würden Geräusche von Explosionen und Schüssen durch das Lachen von Kindern ersetzt, die frei und unbeschwert auf den Straßen spielen. Es wäre ein Ort, an dem Familien ihre Häuser und ihr Leben wieder aufbauen können, ohne ständig Angst vor Zerstörung haben zu müssen. Das Bildungswesen würde aufblühen und allen Kindern die Möglichkeit bieten, zu lernen und zu wachsen. Die Wirtschaft würde florieren und den Menschen Arbeitsplätze und Stabilität bieten. Der Zugang zu sauberem Wasser, medizinischer Versorgung und grundlegenden Dienstleistungen wäre für alle ohne weiteres möglich. Vor allem aber würde eine friedliche Zukunft für den Gazastreifen bedeuten, dass künftige Generationen niemals die Schrecken von Krieg und Konflikten erleben müssten. Es wäre eine Zukunft, in der Hoffnung und Einigkeit herrschen.
Mahmoud M. M. AlDadah (50) ist Vorsitzender der palästinensischen Hilfsorganisation PAEEP (Palestine Association for Education & Environmental Protection), einer langjährigen Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe. Er leitet derzeit aus Rafah das Notfall-Komitee der Organisation, das mit dem Beginn des Krieges in Gaza im Oktober 2023 aktiviert wurde.