Der Winter kommt: In der Ukraine wird es nachts immer kälter und die Not der Menschen immer größer. Im Interview berichtet Julia Krasilnikova, Direktorin unseres Partners vor Ort, über die Herausforderungen und die gemeinsamen Maßnahmen im Rahmen der Winterhilfe.
Der erste Kriegswinter steht in der Ukraine vor der Tür. Ist das Land auf die kalte Jahreszeit vorbereitet?
Es ist für uns schwer abzuschätzen, wie viel Infrastruktur zerstört ist. Sicher ist, dass es diesen Winter in der Ukraine nicht genügend Ressourcen geben wird, um allen Menschen die nötige Wärme, Energie und Versorgung zukommen zu lassen, die sie brauchen. Besonders kritisch wird die Situation überall dort, wo Kämpfe stattfinden und täglich immer mehr Infrastruktur zerstört wird. In den letzten Monaten gab es in vielen Orten über längere Zeit bereits keinen Zugang zu Trinkwasser und keine Elektrizität. Aufgrund der Kämpfe können selbst kleinere Schäden nicht sofort repariert werden und es entstehen ständig neue Schäden. Schlecht sieht es auch in den Orten aus, die unter russischer Besetzung waren und mittlerweile befreit worden sind. Dort hat die russische Armee so viel Zerstörung angerichtet, dass es große Probleme geben wird.
Welche Folgen hat das konkret für die Menschen?
Die niedrigen Temperaturen wirken sich nicht nur auf das Wohlbefinden, sondern auch auf den Gesundheitszustand der Menschen aus. Besonders für Menschen, die durch Krankheit oder Behinderung besonders empfindlich sind, ist das eine Katastrophe. Ein Problem der Kälte und Dunkelheit ist auch, dass es kaum Räume gibt, wo sich Menschen treffen können. Im Sommer sind die Menschen viel draußen, und können sich – auch während sie arbeiten - immer wieder austauschen, einen Scherz machen und miteinander lachen. Was vielleicht banal klingt ist für Stabilität, Zuversicht und Durchhaltevermögen sehr wichtig. Positiver Kontakt mit Menschen, denen man vertraut, auch wenn es nur Small Talk ist, wirkt Stress entgegen und kann Trauma-Symptome mildern. Im Winter gibt es diese Möglichkeiten kaum.
Wie helfen Diakonie Katastrophenhilfe und Vostok SOS in dieser Situation?
Die Menschen brauchen vor allem Unterstützung beim Heizen. Sie brauchen Heizöfen, Holz, alles was hilft, die Temperatur in den Wohnräumen zu heben. Gleichzeitig müssen die Haushalte besser ausgerüstet werden, um sich vor den kalten Temperaturen zu schützen. Warme Kleidung, vor allem Thermounterwäsche, Decken und Isolationsmaterialien sind hier wichtig. Dies alles ist Teil der Winterhilfe, die wir zur Zeit starten.
Können Sie denn in der sehr dynamischen Situation überall helfen?
Die Mission von Vostok SOS ist es, Hilfe dorthin zu bringen, wo andere Hilfe nicht hingelangt. In die besetzten Gebiete kommen wir jedoch nicht. Auch in Gebieten mit aktiven Kampfhandlungen ist der Zugang nicht immer möglich. Die Dinge verändern sich permanent, und wir müssen immer wieder auf neue Situationen reagieren. Was sehr hilfreich ist: Vostok SOS unterhält eine Hotline, wo Hilfsgesuche eingehen. Diese kommen aus Luftschutzbunkern, Ortschaften als auch von einzelnen Familien. Diese Gesuche bearbeiten wir und versuchen, so schnell wie möglich zu reagieren, sofern es die Kriegssituation und die Logistik eben zulassen.
Wie kommen die Hilfsgüter zu den Menschen?
Die Verteilung der Hilfe läuft unterschiedlich ab. Wo kein Artilleriebeschuss ist, können wir an zentralen Orten verteilen, wo die Menschen hinkommen. In Orten mit Kampfhandlung muss improvisiert werden: Alles schnell in einen Keller schaffen, aus dem Auto verteilen, oder eine andere kreative Lösungen finden. Manche Menschen können nicht zu Verteilungen kommen, vor allem Menschen mit Behinderung oder Menschen fortgeschrittenen Alters. Unsere Freiwilligen und lokale Kontaktpersonen bringen ihnen die Hilfe nach Hause, wenn das möglich ist. Wir haben uns auf Flexibilität in der Not spezialisiert und versuchen, für alles eine Lösung zu finden.