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Gründonnerstag an der syrischen Grenze – Reise von Dagmar Pruin

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In der Türkei leben 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien. Der türkische Staat bemüht sich um deren Eingliederung, doch oftmals haben sie einen nur begrenzten Zugang zu Bildung, Gesundheitssystem und Sozialhilfe. Seit 2012 arbeiten wir mit einer türkischen Partnerorganisation daran, diesen Menschen zu helfen. Ein Reisebericht der Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe, Dagmar Pruin.

Der Krieg in Syrien dauert nun schon elf Jahre und auch wenn er weitgehend aus den Medien verschwunden ist, so leiden doch Millionen Menschen unter den Kämpfen und sind zur Flucht gezwungen. Einige der Menschen, die vor dem Krieg aus ihrer Heimat fliehen mussten, treffe ich dieser Tage im Süden der Türkei an der Grenze zu Syrien. Die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder.

Offiziell leben etwa 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei, doch unsere Partnerorganisation Support To Life (STL) schätzt die Zahl weitaus höher. Nicht jeder, der flieht, kann sich registrieren und ist damit als Flüchtling in der Türkei anerkannt und gemeldet. Das Leben hier ist hart für die Menschen aus Syrien, da die staatliche Unterstützung kaum zum Leben reicht, so sie denn überhaupt beantragt werden kann. Seit 2012 arbeitet die Diakonie Katastrophenhilfe zusammen mit der türkischen Partnerorganisation STL daran, den aus Syrien geflüchteten Menschen zu helfen. STL unterstützt die syrischen Flüchtlinge mit Rechtsberatung, psychosozialer Begleitung, Hilfe bei häuslicher Gewalt und Berufsausbildung, um rasch auf eigenen Beinen zu stehen. Sie vermitteln zu den staatlichen Behörden, bauen Brücken und arbeiten gut mit ihnen zusammen.

Es zeigt sich wieder: Um solche Situationen zu stemmen, braucht es eine starke Zivilgesellschaft. Das erlebe ich eindrücklich bei meinem Besuch. Hier im Süden der Türkei engagieren sich außerdem viele freiwillige Helferinnen – auch aus der syrischen Community selbst – und machen auf Menschen aufmerksam, die besonders dringend auf Hilfe angewiesen sind, sich aber aus eigener Kraft nicht selbst an zivilgesellschaftliche und staatliche Institutionen wenden.

Frauen und Kinder sind besonders betroffen

Ähnlich wie bei meinem Besuch vor zwei Wochen an der Grenze zwischen Rumänien und der Ukraine treffe ich auch hier in der Türkei vor allem auf geflüchtete Frauen und Kinder. Denn viele der Männer sind in den Kämpfen getötet worden. Frauen und Kinder sind besonders verletzlich in Fluchtsituationen, daher gilt ihnen unser besonderes Augenmerk. Mitten in einem Park hat STL unter anderem ein Zentrum für türkische und auch syrische Kinder errichtet, von denen einige tagsüber arbeiten, um zum Familieneinkommen beizutragen. Eine wirklich unerträgliche Situation! Ablenkung davon finden sie für einige Stunden im Kinderzentrum. Welche Rechte Kinder haben, war auch Thema während meines Besuchs: Gemeinsam sahen wir Charlie Chaplins „The Kid“, einen Stummfilm, den wir ohne Sprachbarrieren alle gemeinsam verstehen konnten. Im Anschluss daran diskutierten die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter auf mehreren Sprachen mit den Kindern über den Film und Kinderrechte – ein Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen werde.

Schulbesuch statt Arbeit

Gemeinsam mit einem Mitarbeitenden von STL besuchte ich auch eine junge Mutter mit ihren drei Kindern. Als sie vor sieben Jahre flüchtete, war sie gerade 27 Jahre alt. Ihr Ehemann war im Bombenhagel umgekommen, das jüngste der drei Kinder war gerade vier Monate alt. Die Mutter hat mich tief beeindruckt. Sie berichtete, wie wertvoll für sie die Unterstützung durch STL für ihre Familie gewesen ist. Sie konnte staatliche Unterstützung beantragen und ihr ältester Sohn musste nicht mehr Taschentücher auf der Straße verkaufen, sondern ist heute ein guter Schüler.

Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht

3,6 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei. Viele Menschen aus aller Welt, die versuchen über das Meer nach Europa zu kommen, die Flüchtlinge in Bosnien, die ich an Gründonnerstag des Vorjahres auf einer virtuellen Reise sah und die Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine und in den vielen Ländern des Globales Südens, in denen wir mit der Diakonie Katastrophenhilfe und unserer Schwesterorganisation Brot für die Welt arbeiten – die halbe Welt scheint auf der Flucht zu sein.

Auch für Jesus von Nazareth begann das Leben mit einer Flucht, der Gottessohn musste als Säugling mit seinen Eltern vor Herodes nach Ägypten fliehen. Seine letzten Tage auf Erden erlitt er in der brutalen Gefangenschaft der römischen Besatzer, an sein Leiden erinnern wir in diesen letzten Tagen vor Ostern. Sein Schrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ zeigt das ohnmächtige Gefühl der größten Gottverlassenheit. Solch ein Gefühl der Verlassenheit, von welchem Gott auch immer, erahne ich auch hier in den Gesichtern von Frauen und Kindern auf der Flucht. Dieses Gefühl können wir ihnen nicht nehmen, aber wir können dafür sorgen, dass sie sich nicht von uns, ihren Mitmenschen verlassen fühlen müssen. Und deshalb ist unsere Arbeit für die Menschen auf der Flucht so unendlich wichtig.

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