Thomas Beckmann, Pressereferent der Diakonie Katastrophenhilfe, war vor Ort in Thessaloniki und berichtet von seinen Erlebnissen und Eindrücken im Tageszentrum.
Es ist noch nicht viel los auf den Straßen von Thessaloniki, als wir das neue Tageszentrum für Flüchtlinge im Herzen der zweitgrößten Stadt Griechenlands betreten. Die Diakonie Katastrophenhilfe hat das Zentrum ‚Alkyone‘ gemeinsam mit ihrer griechischen Partnerorganisation EMT (Ecological Movement of Thessaloniki) in einer ehemaligen Textilfabrik aufgebaut und bietet hier warme Mahlzeiten, Kleidung, psychologische Betreuung und einen Raum für Begegnung für Flüchtlinge und bedürftige Griechen an. Heute ist ein besonderer Tag für alle Mitarbeitenden und für die Menschen, die hier seit einigen Monaten ein und aus gehen, Freunde kennen und gemeinsam Sprachen gelernt haben. Es ist der Tag der offiziellen Eröffnung. Viele Gäste von befreundeten Organisationen, das griechische Fernsehen und Vertreter des deutschen Konsulats haben sich angekündigt. Alles soll perfekt vorbereitet sein.
Als wir die Küche betreten, in der normalerweise warmes Mittagessen für bis zu 100 Menschen täglich zubereitet wird, drängt sich der Eindruck auf, dass die Köchinnen und Köche die ganze Nacht durchgearbeitet haben. Es herrscht großer Trubel, viel Lärm und es riecht so gut, dass man denken könnte, das typisch syrische Fingerfood für die Eröffnung wäre schon fertig – Stunden, bevor die ersten Gäste kommen sollen. Dass dem nicht so ist, erklärt uns Shalan, ein 27-jähriger Mann aus Damaskus. „Wir sind mitten in den Vorbereitungen. Es wird knapp, aber ich bin mir sicher, dass wir das hinbekommen“, sagt er, während ihm von links ein Brettchen mit klein gehacktem Koriander gereicht wird. Vor dem Beginn des Konflikts und in den ersten Jahren des Krieges in Syrien hatte er ein eigenes Restaurant in der Hauptstadt Damaskus. Shalan ist also Profi und man sieht, dass Kochen nicht nur sein Beruf, sondern auch sein größtes Hobby ist. Er steht in der Mitte der Küche und erklärt der Koch-Gruppe, die zum Teil aus Flüchtlingen – die meisten aus Syrien – und zum Teil aus Griechen besteht, was als nächstes zu tun ist. Selbst die beiden Köche, die bei EMT angestellt sind und im normalen Tagesbetrieb das Mittagessen kochen, arbeiten ihm zu und haben vollstes Vertrauen in seine Fähigkeiten.
Voller Hoffnung auf ein besseres Leben
Neben Shalan steht Aven (25) und schneidet Tomaten. Shalan und Aven haben sich in Thessaloniki kennenglernt und sind seit vergangenem Jahr verheiratet. Vor der Küche haben die beiden einen Kinderwagen geparkt. Shalan und Aven erklären uns voller Stolz, dass ihre kleine, sieben Monate alte Tochter Nagber gerade in dem Wagen schläft. „Nagber bedeutet ‚Ich werden dich nie vergessen‘“, sagt Shalan mit einem breiten Lachen im Gesicht, „wir lieben sie über alles. Hier im Tageszentrum haben wir nun einen Ort gefunden, an dem Aven und ich gemeinsam essen, lachen, lernen und Freunde treffen können.“ Aven und Shalan wollen gerne nach Deutschland, Shalans Bruder lebt schon dort. Doch die Zukunft in Zeiten geschlossener Grenzen in Europa ist ungewiss, deshalb ist es so wichtig, dass Menschen wie Aven und Shalan hier in Griechenland zumindest ein bisschen ‚ankommen‘ können.
Das Tageszentrum in Thessaloniki erstreckt sich über vier Stockwerke. Neben der Küche und dem angeschlossenen Speisesaal gibt es eine Kleiderkammer, die aussieht, wie eine kleine Boutique. Flüchtlinge und auch die lokale Bevölkerung können durch selbstgebaute Regale stöbern. Sie finden Kleidung, Schuhe und Spielzeug für Kinder. Es gibt ein Spielzimmer, viele Räume, in denen Gruppensitzungen mit Psychologen stattfinden und Waschmaschinen, die von den geflüchteten Familien regelmäßig genutzt werden. Die Mitarbeiter von EMT haben in dem Gebäude auch ihre Büros. Nana ist Psychologin und leitet Gruppentherapien, damit die Menschen ihre traumatischen Kriegs- und Fluchterfahrungen gemeinsam verarbeiten können. Heute hilft sie ehrenamtlich in der Küche. „Die Menschen hier stellen irgendwann fest, dass Griechenland keine Zwischenstation auf ihrer Flucht ist, sondern vielmehr ein Land, in dem sie erstmal ein neues Zuhause finden müssen“, sagt Nana, „Wenn sie das merken, ist es wichtig, dass sie ein Netz haben. Das wollen wir ihnen mit dem Tageszentrum und den vielen Aktivitäten, die wir hier veranstalten, bieten. Es geht darum, dass sie miteinander und mit den Menschen in Thessaloniki in Kontakt kommen, dass sie Telefonnummern austauschen und gemeinsam über ihre Vergangenheit und ihre Zukunft sprechen.“
Leidenschaft und Hingabe
Die Diakonie Katastrophenhilfe arbeitet seit vielen Monaten mit EMT in Griechenland zusammen, angefangen hat alles in dem riesigen Flüchtlingscamp in Idomeni, gemeinsam hat man dort insgesamt 148.000 warme Mahlzeiten verteilt. „Nachdem die Grenzen geschlossen wurden, musste die Diakonie Katastrophenhilfe die neue Situation analysieren, da nun nicht mehr nur reine Nothilfe, sondern andere, mittel- und langfristige Unterstützung nötig wurde“, sagt Markus Koth, Koordinator der Flüchtlingshilfe in Südosteuropa für die Diakonie Katastrophenhilfe bei der Eröffnung von ‚Alkyone‘. „Das Resultat dieser Analyse ist dieses Zentrum. Neben den Aktivitäten, den Mahlzeiten und der Möglichkeit, Sprachen zu lernen, bietet es noch viel mehr: Die Mitarbeiter zeigen Verständnis, Leidenschaft und Hingabe für die Menschen, die hierher kommen.“
Die Partnerorganisation EMT wurde Anfang der 80er Jahre gegründet und beschäftigt sich – dem Namen „Ecological Movement of Thessaloniki" folgend – eigentlich mit Umweltschutz. Einer der Gründer, Michalis Tremopoulos erklärt: „Wir haben 2015 mit der Arbeit für Geflüchtete angefangen. Das ist für griechische Umweltschutzorganisationen sehr ungewöhnlich. Für uns ist es nur logisch. Ein bewusster Umgang mit der Natur und Menschlichkeit – beides lässt sich für uns nicht voneinander trennen.“ Mittlerweile ist der für den heutigen Tag umfunktionierte Speisesaal bis auf den letzten Platz gefüllt. Shalan und seine Kollegen sind tatsächlich rechtzeitig fertig geworden und die Gäste lassen sich Humus, Falafel und gefüllte Auberginen schmecken. Es ist wirklich ein spezieller Tag für alle, die zur Eröffnung gekommen sind. Doch dieser Ort ist vor allem für die Flüchtlinge in Thessaloniki etwas ganz besonderes.