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EU-Projekt verstärkt Beratung für Betroffene

Türkei: „Traumatische Folgen der Erdbeben sind nicht in Wiederaufbaustatistiken sichtbar“

Mehr als 15 Millionen Menschen waren von den verheerenden Erdbeben am 6. Februar 2023 in der Türkei betroffen. Viele haben Angehörige, Wohnungen und Existenzen verloren. Trotz umfangreicher Wiederaufbauprogramme stehen vor allem syrische Geflüchtete in der Türkei weiter vor enormen Herausforderungen. Ein Projekt, das vom Europäischen Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (ECHO) finanziell unterstützt wird, hilft Betroffenen.

„Die traumatischen Folgen der Erdbeben begleiten Überlebende jeden Tag, sie sind aber in Wiederaufbaustatistiken nicht sichtbar“, sagt Miray Müge Yücel, Koordinatorin für das Türkei-Programm der Diakonie Katastrophenhilfe. Psychologische Teams der Partnerorganisation Support to Life (STL) hatten erhoben, dass 85 Prozent der von ihnen unterstützten Menschen Symptome von Angst und Depression zeigen. Kinder haben immer noch Albträume und Schwierigkeiten, sich in der Schule zu konzentrieren. „Viele Menschen leben bis heute mit ihren Familien in provisorischen Wohncontainern ohne ausreichende Privatsphäre und Sicherheit. Frauen müssen Gemeinschaftstoiletten benutzen, die oft schlecht beleuchtet und nicht gesichert sind. Das verstärkt Ängste und Unsicherheiten“, sagt Miray Müge Yücel.

Mit finanzieller Unterstützung durch die Europäische Union erhielten zwischen Mai und Dezember 2024 mehr als 9.300 Menschen in den Provinzen Adıyaman, Hatay und Kahramanmaraş individuelle psychologische Unterstützung, wurden rechtlich beraten oder an öffentliche Dienstleistungen durch STL-Mitarbeitende vermittelt. „Vor allem für geflüchtete Frauen ist dieses Angebot wichtig. Für sie gibt es oft keine psychosoziale Hilfe in ihrer eigenen Sprache. Häusliche Gewalt hat seit den Erdbeben erheblich zugenommen, aber in den wenigen verbliebenen Frauenhäusern gibt es keine Dolmetscher und sie können nur vorübergehende Lösungen anbieten", beschreibt Miray Müge Yücel.

Laut Befragungen von STL unter Frauen und Mädchen in ihren Programmen gaben 56 Prozent von ihnen an, geschlechtsspezifische Gewalt erlebt zu haben - ein Anstieg um 15 Prozent im Vergleich zum Zeitraum vor den Erdbeben. Warum die Hilfe gebraucht wird, erklärt die Syrerin Zehra (Name geändert). „Meine Kinder wurden krank und ich konnte sie wegen fehlender Papiere nicht zum Arzt bringen. Ich hatte ständig Angst, dass die Familie des Vaters auftauchen würde. Ich hatte kein Geld und konnte nicht einmal beweisen, dass die Kinder von mir sind. Ich fühlte mich völlig gefangen", erzählt Zehra. Sie musste regelrecht kämpfen, um ihre zwei kleinen Kinder zu behalten, denn die Familie ihres Ex-Partners drohte damit, ihr diese wegzunehmen.

Durch das umfassende Förderprogramm von Support to Life erhielt Zehras Familie die medizinische Versorgung und in Zusammenarbeit mit den Migrationsbehörden die notwendigen Ausweispapiere für ihre Kinder. Zudem wurde sie zum Schutz des Sorgerechts rechtlich begleitet und bekam ein Telefon, um im Notfall Hilfe rufen zu können. „Jetzt können meine Kinder zum Arzt gehen und sie bekommen ihre Impfungen. Ich habe endlich das Gefühl, dass wir eine Chance auf ein sicheres Leben haben. Zum ersten Mal seit dem Erdbeben kann ich nachts schlafen, weil ich weiß, dass meine Kinder geschützt sind", sagt Zehra.

Mit dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 haben in der Türkei Diskussionen über die Rückkehr syrischer Flüchtlinge zugenommen. Die anhaltende Wirtschaftskrise mit hoher Inflation, gesunkener Kaufkraft und Arbeitslosigkeit hat die Stimmung gegen Flüchtlinge im Land angeheizt. „Die sichere, freiwillige und menschenwürdige Rückkehr ist ein komplexer Prozess, der für viele Menschen noch zu früh kommt“, betont Miray Müge Yücel. Einen Monat nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien sind laut türkischen Behörden zwar mehr als 81.000 syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt. Doch die Mehrheit der rund drei Millionen Flüchtlinge will weiter in der Türkei bleiben – trotz zunehmender sozialer Spannungen in den aufnehmenden Gemeinden.

Um diese neuen Herausforderungen zu bewältigen, wurde im Projekt eine zusätzliche Rechtsberatung eingeführt. Auf diese Weise konnten bereits mehr als 250 Personen in den vergangenen Wochen über ihre weiterhin geltenden Schutzrechte und die Verfahren zur freiwilligen Rückkehr nach Syrien informiert werden. In Syrien fehlt es an Unterkünften und Sicherheit, aber auch an wirtschaftlichen Perspektiven. Die Entscheidung des EU-Rats für Auswärtige Angelegenheiten vom 27. Januar, erste Lockerungen der Sanktionen gegen Syrien einzuleiten, ist ein hoffnungsvolles Signal. Es kann dazu beitragen, die syrische Wirtschaft anzukurbeln und die Lage der Menschen im Land so zu verbessern.

Ihr Pressekontakt

Bild von Tommy Ramm

Tommy Ramm

Pressesprecher Diakonie Katastrophenhilfe

+49 30 65211 1225tommy.ramm@diakonie-katastrophenhilfe.de