Vergessen, verlassen, allein – Flüchtlinge in Zeiten der Corona-Pandemie
Während humanitäre Hilfsorganisationen – wie etwa die Diakonie Katastrophenhilfe – und UN-Organisationen ihr Äußerstes geben, um im Rahmen der Möglichkeiten gerade auch Flüchtlingen in Zeiten von Corona beizustehen, haben Politik und Öffentlichkeit sie gerade verdrängt. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie war die Hilfe des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR z.B. für die 5,5 Millionen syrischen Flüchtlinge in den Nachbarregionen und sechs Millionen intern Vertriebenen in Syrien auf minimale Leistungen reduziert, weil die Völkergemeinschaft nur 20 Prozent der erforderlichen Mittel aufzubringen bereit war.
Die Pandemie hat an der mangelnden Solidarität nichts geändert – im Gegenteil: Jetzt hat jedes Land vor allem die eigene Not im Blick, will jede Regierung vor allem für die eigene Bevölkerung sorgen, damit die ruhig bleibt und ihre Regierenden wiederwählt. Das Trump-Narrativ ‚America first‘ hat gerade jetzt weltweit Schule gemacht. So kommt es, dass bei den großen Rettungsschirmen in Deutschland, den meisten anderen EU-Ländern und auf EU-Ebene bestenfalls Brotkrumen für die Flüchtlinge vom Tisch fallen. Und so kommt es auch, dass die nationalen Epidemie-Planungen der Staaten die Lage und Bedarfe der Flüchtlinge nicht im Blick haben. Humanitäre Hilfsorganisationen müssen in Lock-Down-Zeiten ihre Unterstützungsmaßnahmen einstellen. Grenzschließungen hindern den Import von humanitären Hilfsgütern. Und sie hindern Menschen, die vor Verfolgung oder kriegerischer Gewalt fliehen wollen, ihr Land verlassen zu können. So wird Südsudanesen die Flucht nach Uganda verweigert, Flüchtlinge aus Nigeria können die Grenze nach Kamerun nicht überschreiten. Vielleicht ist das sogar ein erwünschter Effekt – weil man sich so, ganz ohne politische Aufmerksamkeit zu erregen, die Flüchtlinge fernhalten kann?
Dabei brauchen Flüchtlinge gerade jetzt besondere Unterstützung: Ohnehin schon aller Reserven beraubt stehen sie vor dem existentiellen Aus, wie es schlimmer nicht vorstellbar ist. Es muss wieder und wieder gesagt werden: Die Pandemie trifft die Ärmsten am schlimmsten – in jedem Land und weltweit. Und zu denen Ärmsten gehören die Flüchtlinge, auch die Intern Vertriebenen, die Staatenlosen, die Asylsuchenden - fast 80 Millionen Menschen, mehr denn je seit dem 2.Weltkrieg. Und ihre Zahl wächst rapide: Es sind neun Millionen mehr als vor einem Jahr und doppelt so viele wie vor zehn Jahren! Und fast 85 Prozent von ihnen halten sich in den armen und ärmsten Ländern auf.
Flüchtlinge brauchen unsere Hilfe
Corona hat sie – wie auch die Länder ihrer Zuflucht – noch ärmer und verletzlicher gemacht. Die meisten – im Falle der syrischen Flüchtlinge neun von zehn – leben nicht in Camps, sondern mitten unter der Bevölkerung und sind auf deren Barmherzigkeit angewiesen, denn in sehr vielen Ländern haben sie keinerlei Rechte und Ansprüche: Der Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem ebenso wie zum offiziellen Arbeitsmarkt bleibt ihnen verwehrt. Also leben sie von inoffiziellen Jobs auf der Straße und Tagelöhnerei oder vom Mitleid der Nachbarn. Doch die Lockdowns haben ihnen in den vergangenen Monaten auch diese Einkommensmöglichkeiten genommen. Das Bisschen, das die Flüchtlinge haben, reicht nicht für Schutzmaßnahmen und ihre Wohnsituation ist meist so prekär, dass an Hygienemaßnahmen gegen Covid19 nicht zu denken ist. Zudem sind sie sprachlich häufig nicht in der Lage, Informationen und Aufklärung über Prävention und Krankheit zu verstehen. Wie alle zur sozialen Isolation verdammt, bleiben sie mit ihren Ängsten allein – viele von ihnen durch Flucht und Verfolgung tief traumatisiert. Diese Ausweglosigkeit bringt die Seelen vieler nun zum Kollabieren. Die Meldungen über Selbstverletzungen und Selbstmorde unter Flüchtlingen nehmen beängstigend zu – zumal die psychosozialen Angebote von Hilfsorganisationen zur Aufarbeitung von Traumata in Lockdown-Zeiten eingestellt werden müssen. Der UNHCR schätzt, dass die Folgen für die seelische Gesundheit von Flüchtlingen durch die Pandemie noch drastischer sein wird als die Folgen für die körperliche Gesundheit. In Zeiten der Mythenbildung über die Krankheit und den wachsenden Nationalegoismus nimmt außerdem die Abgrenzung und Diskriminierung von und die Gewalt gegen Flüchtlinge zu, so dass es zu re-traumatisierenden Situationen kommt.
Für diejenigen, die in Camps leben – wie gesagt die Minderheit – sieht die Lage nicht besser aus. Sie erleben zudem die drangvolle Enge in den weltweit überfüllten Camps. Abstandsregeln sind nicht einzuhalten, wo man Zelt an Zelt, Bretterbude an Bretterbude lebt, in langen Schlangen um die kleinen Essensrationen konkurriert, sich mit 100 Familien eine Toilette oder mit tausend einen Wasserhahn teilen muss. Die Einstellung aller Gemeinschaftsaktivitäten wie Sport, Gesprächsgruppen, religiöse Zusammenkünfte und natürlich der Schulen verstärkt den seelischen Druck. In manchen Lagern dürfen Helfer wegen des Lockdowns nicht einmal mehr Hilfsgüter verteilen. Millionen Menschen haben die Kraft aufgebracht, zu fliehen und die Hoffnung auf einen sicheren Ort durch alle Entbehrungen, Rückschläge, physischen und psychischen Verletzungen aufrechterhalten – doch nun können viele nicht mehr. Aus den überfüllten Lagern rund um Idlib kehren aktuell deshalb Menschen in ihre zerbombten Wohnungen in der Stadt zurück, obwohl die Gewalthandlungen dort weitergehen.
Die Situation der Flüchtlinge in den unglaublich überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln bildet keine Ausnahme. Aber das in Zeiten von Covid19 gesteigerte Flüchtlingselend auf europäischem Boden bewegt Politik und Gesellschaften in Europa nicht in dem Maße, indem man es erwarten dürfte und müsste. Dass wir so tun, als würde uns das alles nichts angehen – darin erkenne ich auch rassistische Motive. Was ich in jedem Fall nicht darin erkenne, ist auch nur der Hauch christlicher Humanität und europäischer Werte.
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