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Interview zur Situation vor Ort: „Der Bedarf an Hilfe ist immens“

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Pfarrerin Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe, ist in den vergangenen Tagen durch die Ukraine gereist und hat sich vor Ort ein Bild von der Arbeit und den Hilfsmaßnahmen unserer Partnerorganisationen gemacht. Im Interview berichtet sie über ihre Eindrücke und Erlebnisse mit den Menschen, die seit Jahren einer Kriegssituation ausgesetzt sind und darüber, was sie jetzt brauchen.

Am 24. Februar 2022 begann Russland seinen Angriffskrieg gegen die gesamte Ukraine, die Annexion der Krim ist mittlerweile zehn Jahre her. Sie waren gerade vor Ort und haben sich ein Bild von der Hilfe gemacht, welche die Diakonie Katastrophenhilfe und Brot für die Welt in der Ukraine mit ihren lokalen Partnerorganisationen leisten. Was ist Ihr Eindruck, wie haben Sie den Krieg erlebt?

In diesen Tagen haben wir den Krieg nah und gleichzeitig fern erlebt. Denn auch wenn wir drei Nächte stundenweise im Keller des Hotels verbringen mussten, weil es einen Bombenalarm gab, so blieb der Krieg dennoch auch abstrakt für uns. Das ist ganz anders bei den Menschen hier, die seit zwei oder eigentlich seit zehn Jahren diesem Krieg ausgesetzt sind: Für sie ist der Krieg immer präsent und diese Erfahrung lässt sich nur ansatzweise nachspüren, wenn man für einige Tage hier ist. 
 

Sie haben sich die Arbeit unserer Partner vor Ort angeschaut und auch mit den Mitarbeitenden unseres Büros gesprochen. Wie erleben sie die Situation? Was berichten Sie von ihrer Arbeit und den Lebensumständen?

Ich spüre bei unseren Partnern und den vielen Menschen, denen sie helfen können, beides auf einmal: Zum einen eine große Müdigkeit und Erschöpfung, zum anderen eine unglaubliche Tatkraft und den Drang, sich vom Krieg nicht beherrschen zu lassen. Dabei geht es darum, gegen die Folgen des Krieges zu arbeiten, Häuser aufzubauen, den Menschen psychologisch zur Seite zu stehen und Angebote zu schaffen. Es geht aber auch darum, sich dem Krieg mit all seiner Grausamkeit nicht so auszuliefern, dass man selbst auch innerlich versteinert. Unsere Partner und die Menschen hier setzen der Unmenschlichkeit des Krieges immer wieder Menschlichkeit entgegen – und das beeindruckt mich tief. Gleichzeitig aber sitzt der Schock über den Angriff tief.

Die Menschen in dem Ort Butscha, der im Februar 2022 so viel Grauen erlebt hat, erzählten mir, dass sie nicht glauben konnten, was dort vor zwei Jahren passiert ist. Selbst dann nicht, als die Helikopter über der Stadt kreisten. Es war für sie nicht vorstellbar, dass es zu einem russischen Angriff kommt. Dieser Moment hat viele bis ins Innerste verstört.
 

Die Hilfsbereitschaft war zu Beginn des Krieges außerordentlich hoch. Was konnte mit Hilfe der Spenden und Mittel bewirkt werden?

Es konnten unterschiedliche Hilfen in vielen Orten stattfinden: Die Arbeit unserer Partnerorganisationen reicht von Lebensmittelverteilungen und der Ausgabe von Geldkarten bis hin zu Evakuierungen aus frontnahen Gebieten, Reparaturen von zerstörten Häusern und Beratungshotlines. Psychologische Hilfe und Programme, die Familien dabei unterstützen, besser mit dem Erlebten und den Folgen des Krieges umzugehen, gehören auch dazu.

Und dann gibt es auch immer die wichtige Hilfe für die Menschen, die am schwächsten, am verletzlichsten sind: Frauen mit Kindern, obdachlose Menschen, Menschen mit Behinderung oder alte Menschen. 
 

Was brauchen die Menschen vor Ort jetzt? Ist der Bedarf an Hilfe weiterhin groß?

Der Bedarf an Hilfe ist immens und er wird auch weiterhin hoch bleiben. Dieser Krieg und seine Folgen hinterlassen tiefe Spuren bei den Menschen. In der Psyche, in der Seele und materiell. Er schwächt die Wirtschaft des Landes massiv. Deshalb müssen wir die Hilfe langfristig denken. Und wir müssen die Zivilgesellschaft stärken. Sie ist es, die den Menschen jetzt zur Seite steht und sie ist es, die auch die sozialen Aspekte im Wiederaufbau des Landes im Blick behalten wird. Deshalb ist es so wichtig, dass zivilgesellschaftliche Akteur: innen in Konferenzen zum Wiederaufbau mit einbezogen werden. Ihnen wird eine besondere Rolle zukommen und zukommen müssen – hier ist die Zivilgesellschaft auch in ihrer „Watchdog-Funktion“ gefragt.
 

Was können wir tun?

Ich bin unglaublich dankbar für die Hilfe, die wir hier - dank unserer Spender: innen und Unterstützer: innen - bereits anschieben konnten. Wir dürfen jetzt nicht nachlassen. Die Menschen in der Ukraine brauchen weiterhin unsere uneingeschränkte Solidarität und Mitmenschlichkeit.

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