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Betroffene berichtet: Was fehlt, sind die Erinnerungen

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Die schrecklichen Erinnerungen an den 14. Juli 2021 sind auch zwei Jahre danach noch lebendig. „Die braune Brühe kam mit einer unglaublichen Wucht, zerstörte die Fensterscheiben und hat alles mitgerissen“, erzählt Sibille Gilles de Sant’Ana. Zwei Jahre nach der Katastrophe blickt sie gemeinsam mit Fluthilfeberater Thorsten Müller auf die vergangenen Monate.

Der Vater von Sibille Gilles de Sant'Ana hatte das Haus an der Auestraße, nahe des Flusses Inde, bereits im Jahr 1934 gebaut. Seit ihr Mann vor mehr als zehn Jahren verstorben ist, wohnt die 69-Jährige allein in dem knapp hundert Quadratmeter großen Haus. Der Sohn lebt mit seiner Familie in Norddeutschland. Gelebt hatte sie hauptsächlich im Erdgeschoss, im oberen Bereich gab es zwei kleine Zimmer für die Enkelkinder. Nach der Flut hat sie selbst dort oben gewohnt, wenn auch ohne Küche. „In der alten Welt“, wie sie die obere, nicht zerstörte Etage mittlerweile nennt.

An diesem Vormittag sitzt die Eschweilerin am neuen Esstisch auf einem neuen Stuhl gegenüber der neuen Eckbank. „Mein Bett konnte ich retten, das ist aus Vollholz und hat die Flut überstanden“, sagt sie. Quasi der gesamte restliche Hausstand ist neu. „Wenn ich nach Hause komme, fühle ich mich manchmal wie in einem Möbelhaus“, sagt sie und lacht. Denn was fehlt, sind die Erinnerungen. Ihre Hochzeitsfotos, die Bilder der Eltern, die Andenken.

„Irgendwann habe ich überhaupt nicht mehr durchgeblickt“

Eigentlich glücklich mit ihrem Leben, war nach der Flut alles aus den Fugen geraten. „Ich hatte ja keine Ahnung, wie ich die Handwerker bezahlen sollte. Normalerweise plant man so etwas ja ganz genau und renoviert Zimmer für Zimmer – ich musste alles auf einmal machen.“ Und parallel dazu kümmerte sich die Rentnerin um die Anträge auf finanzielle Unterstützung vom Land.
Im Frühjahr 2022 fand sie im Briefkasten einen Info-Zettel des Regionalteams Eschweiler der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe (DKH RWL), den Fluthilfeberater Thorsten Müller dort eingeworfen hatte. „Wenig später stand sie dann bei mir im Büro“, erinnert der sich. Ursprünglich wollte Sibille Gilles de Sant’Ana ihn nur um Hilfe beim Ausfüllen des NRW-Antrags bitten. „Ich dachte, das wäre es dann gewesen mit den finanziellen Hilfen und war davon überzeugt, dass mir mehr Geld gar nicht zustehen würde. Aber Herr Müller hat einfach nicht lockergelassen und mit mir schließlich auch den Antrag für Wiederaufbau bei der Diakonie gestellt.“

Erste Wiederaufbauhilfe-Klientin

Thorsten Müller erzählt: „Auch für mich war das eine ganz besondere Situation, denn Frau Gilles de Sant’Ana war tatsächlich meine erste Klientin für einen Antrag auf Wiederaufbauhilfe bei der DKH RWL. Ende Mai 2022 war der Antrag dann bewilligt, bereits im Juli wurde das Geld ausgezahlt. Dank der Spendengelder konnte Sibille Gilles de Sant’Ana ihren verbliebenen 20-prozentigen Eigenanteil beim Wiederaufbau reduzieren und mit der zusätzlichen Förderung  die Handwerker bezahlen, „es ging endlich voran“.

„Ich bin dankbar, dass der Staat und die Spendenorganisationen uns Betroffene so gut unterstützen, das ist nicht selbstverständlich“

Dass sie Thorsten Müller kennengelernt hat, habe ihr aber nicht nur in der finanziellen Notlage geholfen. „Ich hatte ja auch kaum jemanden zum Reden“, sagt Sibille Gilles de Sant’Ana. „Herr Müller ist für mich eine Vertrauensperson geworden, und ich bin ihm so dankbar, dass alles so gut gelaufen ist.“ Noch heute muss sie lächeln, wenn sie daran denkt, „wie der junge Herr Müller so oft mit seinem Laptop bei mir am Tisch saß, und ich alte Frau daneben mit dem dicken, grünen Schnellhefter“. Sibille Gilles de Sant’Ana hofft, dass sie das Kapitel Flut irgendwann schließen kann. „Ich habe schlimme Erinnerungen und weine immer noch manchmal.“ Trotzdem habe sie als Folge der Flut auch unglaublich viel Hilfsbereitschaft erleben dürfen.

Im Herbst sollen die Arbeiten an ihrer Terrasse beginnen. In der Zwischenzeit will Fluthilfeberater Thorsten Müller weitere Betroffene in Eschweiler und Umgebung aufsuchen, die auch jetzt noch nichts von den Fördermöglichkeiten der Diakonie Katastrophenhilfe RWL wissen.  In der Aue-Siedlung hingegen kennt man ihn schon, weil Sibille Gilles de Sant’Ana dort ordentlich Werbung für ihn macht.  „Immer, wenn jemand Probleme in Sachen Flut hat“, so erzählt sie, „dann sage ich: Geh‘ doch einfach zu Herrn Müller, der hilft!“

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